Mit der Axt zum Messerkampf

Es gibt viele Tweets und vielleicht noch mehr LinkedIn-Posts, die weise Zitate von berühmten historischen Persönlichkeiten enthalten. Manchmal aus dem Zusammenhang gerissen, oft falsch zugeordnet und in der Regel entstellt. Dieses Phänomen fasziniert mich auf seltsame Weise.

Hier ist zum Beispiel einer, den ich neulich gesehen habe. "Gib mir sechs Stunden, um einen Baum zu fällen, und ich werde die ersten vier Stunden damit verbringen, die Axt zu schärfen" - Abraham Lincoln. Mit diesem Zitat habe ich ein bisschen ein Hühnchen zu rupfen. Es wurde Lincoln zugeschrieben, und zwar in einem so genannten "Appell an die Autorität", um ihm mehr Gewicht zu verleihen; denn er hat es nie geschrieben. Und ich weiß nicht, ob Sie jemals versucht haben, eine Axt zu schärfen, aber Sie würden nur dann vier Stunden damit verbringen, wenn Sie mit einem Hammer beginnen würden. Schließlich dauert das Fällen eines Baumes mit einer superscharfen Axt normalerweise nur Minuten; zwei Stunden sind wirklich langsam. Für einen Holzfäller macht das alles keinen Sinn.

Aber ich werde dieses Zitat trotzdem verwenden, denn obwohl es vielleicht nicht auf Lincoln oder das Fällen von Bäumen zutrifft, ist es im DX-Bereich sehr nützlich. Denn wenn man mit einer stumpfen Axt vorgeht, wird man nicht sehr weit kommen.

Wenn Sie unter Zeitdruck stehen und so schnell wie möglich zu Ergebnissen kommen wollen, ist es kontraintuitiv, innezuhalten und über Dinge nachzudenken. Aber ich kann Ihnen einen weiteren Eimer voller Analogien, Metaphern und Gleichnisse hinwerfen. Der Läufer, der über seine ungebundenen Schnürsenkel stolpert. Oder dann losläuft, aber wohin? Es ist leicht, sich zu verlaufen, wenn man nicht weiß, wo die Ziellinie ist. Ich habe im Laufe meiner Karriere sicher Dutzende von Varianten davon verwendet. Aber Lincoln hat es gut auf den Punkt gebracht: Schärft zuerst die Axt.

Man kann das leicht mit Trägheit verwechseln. Im Laufe der Jahre musste ich eine Menge kultureller Übersetzungen vornehmen. Ich erinnere mich an ein Telefongespräch über ein Sperrproblem mit einem Team in Jordanien und einem Team in Norwegen. Die Norweger waren ganz cool, während die Jordanier sich aufregten: "Verstehen die nicht, wie dringend das ist!" Ich musste ihnen erklären, dass sie, wenn man die Skandinavier auf einen Vulkan setzen und darauf hinweisen würde, dass er ausbricht, die gleiche Antwort erhalten würden: "Ja, das ist ein Problem." Das hat nichts mit mangelndem Sinn für Dringlichkeit zu tun, sie sehen nur keinen Grund, in Panik zu geraten. Analysieren Sie das Problem, finden Sie eine Lösung, führen Sie sie aus. Das geht schneller, als schreiend durch die Gegend zu rennen.

Ebenso wurde mir gelegentlich vorgeworfen, ich würde "herumsitzen und planen", anstatt sofort loszulegen. Der Druck, sofort loslegen zu müssen, kann sehr groß sein. Aber man muss ein Gleichgewicht finden zwischen den entgegengesetzten Enden von "mach es einfach, wir werden es schon herausfinden" und "lass uns Ausschüsse bilden und eine Weile theoretisch darüber nachdenken". Wenn wir Abe Lincolns Zeitplan folgen würden, würden wir doppelt so viel Zeit damit verbringen, Dinge zu durchdenken, als sie tatsächlich auszuführen. Für digitale Erlebnisprojekte wäre das übertrieben und eine unentschuldbare Zeitverschwendung. Aber das bedeutet nicht, dass Sie es überspringen sollten.

Natürlich gab es in meiner Laufbahn viele Projekte, bei denen Termine nicht eingehalten wurden oder die viel langsamer liefen, als sie hätten sein sollen. Das lag in der Regel nicht daran, dass die Leute herumgesessen und nichts getan haben. Meistens ist es einer der folgenden Gründe:

Jedes Mal, wenn so etwas passierte, spürte ich, wie es in meinem Hinterkopf nagte, und ich konnte die roten Fahnen in meinen Augenwinkeln sehen. Wenn man für digitale Erlebnisse zuständig ist, wird von einem erwartet, dass man entschlossen handelt. Das bedeutet, dass man einige Risiken eingehen muss - aber es müssen kalkulierte Risiken sein. Man läuft ja auch nicht nachts einen Marathon und setzt dann eine Sonnenbrille auf, weil das cool aussieht. Und dann läuft man gegen einen Baum, von dem man nicht wusste, dass er im Weg steht.

Natürlich sollten Sie wissen, was Sie erreichen wollen; das scheint das Offensichtliche zu sein. In der Realität müssen Sie aber vielleicht ein paar Schritte zurückgehen, um herauszufinden, wohin Sie wirklich wollen. Ich habe schon große Projekte erlebt, bei denen alle losgelaufen sind, um später nur noch langsam voranzukommen... Ja, Sie bauen einen Dienst oder eine Anwendung auf, und Sie haben eine gute Vorstellung davon, was damit erreicht werden soll. Aber warum? Um ehrlich zu sein, ist dies nach wie vor der größte Hemmschuh bei Projekten.

Die "Five Whys"-Methode (die z. B. bei Six Sigma sehr beliebt ist) wird im Allgemeinen verwendet, um die Grundursachen von Problemen zu diagnostizieren. Aber sie ist auch unglaublich nützlich, um den Zweck herauszufinden. Wenn Sie die Fragen nicht zu Beginn stellen, könnten Sie sich am Ende im Wald wiederfinden. Es sollte eine kurze Übung sein - nutzen Sie sie nicht als Ausrede für eine Verzögerung. Aber selbst wenn das, woran Sie arbeiten, nur ein Rädchen im Getriebe ist, sollten Sie wirklich verstehen, wie es in die größere Maschine passt.

Da Sie nur das beeinflussen können, was in Ihrem Einflussbereich liegt, ist es leicht, das zu ignorieren, was außerhalb des Projektumfangs liegt. Sie können es ohnehin nicht ändern. So verlockend es auch sein mag, Sie sollten immer die Risiken und mögliche Abhilfemaßnahmen berücksichtigen.

Ich habe einmal in einem Unternehmen gearbeitet, in dem im Herbst ein drahtloser Spotbeam zu einem anderen Standort installiert wurde. Einige Monate später brach die Verbindung auf unerklärliche Weise immer wieder ab, und im Frühjahr war sie dann ganz weg. Wie sich herausstellte, befand sich ein Baum in der Sichtlinie, dessen Blätter nachgewachsen waren und die Verbindung blockierten. Der Verkäufer weigerte sich, die Verantwortung zu übernehmen - "niemand hat uns gesagt, dass wir die Jahreszeiten berücksichtigen müssen!" Wir haben die Leitung schnell durch eine unterirdische Standleitung ersetzt, aber ja, manchmal muss man den Frühling berücksichtigen - auch wenn man das Wetter nicht ändern kann.

Das ist natürlich nur ein Beispiel - in der Praxis können Sie die "Jahreszeiten" z. B. durch Marktbedingungen, andere Abteilungen, externe Partner usw. ersetzen. Übertreiben Sie es nicht; Sie müssen das Wetter nicht vorhersagen. Schauen Sie einfach aus dem Fenster, um zu sehen, was Ihrer Meinung nach kommen wird.

Die unabänderliche Frist ist eine große. In diesem Fall sind sich alle bewusst, dass es Ärger gibt - aber Sie haben keine andere Wahl, als zu versuchen, ihn einzuhalten. Vielleicht ist es eine vertragliche Verpflichtung mit einem externen Partner, vielleicht sind es auch nur die Jahreszeiten - oder der schwarze Freitag, Weihnachten, Diwali. Auf jeden Fall müssen die Dinge vorher anlaufen, und es gibt nur sehr wenig, was man dagegen tun kann. Also fängt man an der Ziellinie an und geht zurück, um die Dinge passend zu machen. Das kann funktionieren, aber oft - trotz schlafloser Nächte und Bemühungen rund um die Uhr - nicht.

Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten, und beide haben mit Risikominderung zu tun:

In der Zwischenzeit sollten Sie sich vor dem wahrscheinlich größten Risiko hüten: den Überblick über all die scheinbar nicht dringenden Dinge zu verlieren, die Sie irgendwann erledigen werden, wenn Sie den nächsten großen Termin geschafft haben. Oder, um die griechischen Klassiker mit Scrum zu verwechseln: Das ist, wenn Ihre Epen zu Zehn-Jahres-Reisen werden.

Dieser Gast-Blogbeitrag ist der dritte einer Serie von fünf Artikeln, die Adriaan Bloem für Magnolia geschrieben hat:

Oh, und eine süße Überraschung für Sie: Adriaan schreibt nicht nur Blogartikel für Sie, er hat auch ein Buch geschrieben: